Americo- Bar

Kreise

Winkel

Parallele Linien-
grelles, stechendes Licht

Punkte blitzen auf

Dreiecke pulsieren

Blaue Vierecke,
gelbe Pfeile-
blinken auf und verlöschen

Rot-Weiß-Blau-Rot-Gelb läuft in Folge eine Hauswand hinunter

Rote Herzen

Leute eilen geschäftig durch die Straßen, bevölkern die Gehsteige, eine einzige brodelnde Masse‚ ein wimmelnder Ameisenhaufen.

In der Hektik verschwimmen die Gesichter im flüchtigen Blick, werden Konturen unscharf, bleibt nichts von ihnen.

Nur in den dunkelen Ecken bleiben die Gesichter klar, mit tiefeingeschnittenen Linien.
Dort sitzen sie stundenlang, teilnahmslos, von niemandem beachtet, ein Leben in Hinterhöfen.

Es dröhnt Musik, Autos hupen und Bremsen kreischen, die vielen Anreißer schreien über die Köpfe hinweg, der Dunst ranzigen Pommes-Öles zieht durch die Menge, vorbei an den Schaukästen mit den Photos nackter Mädchen und dem Versprechen: Girls aus aller Welt.

Im schummrig- roten Licht verschämte Bewegungen, hastig, abgehackt‚ aber auch gönnerhaft, mit breitem Gang; verstohlene Blicke, drastische Gesten, geflüsterte Gespräche. Das Huschen in Hauseingänge, nervöses Auflachen und das Licht in den Fenstern der Stundenhotels geht aus.

Da hinten, unter den Lampions des Chinarestaurants prügeln sich zwei, betrunken, andere gröhlen dazu.
Nebeneingänge, in engen, schmalen Gassen, die sich schnell öffnen und schließen.            

Und der Gestank der Einsamkeit aus den Hinterhöfen des Lebens zieht über die, die in den Ecken sitzen, hinweg.

. . .

„Wie schnell die Zeit doch vergangen ist... 55, man mag es ja kaum glauben,55... Tja, langsam werde ich alt... aber, weiß Gott, ich habe gern gelebt.

Gut, nach den Sternen greife ich nicht mehr- hm, die kann ich wegen meiner Kurzsichtigkeit auch kaum noch sehen... hm,hm,hm.“

Er lächelt leise.

„Die Kinder sind groß... außer Haus... aber es ist schön zu leben. Manchmal wünschte ich, ich wäre unsterblich...  aber das geht wohl nicht...“ sagt er nachdenklich, bedauernt.

„Wie spät ist es denn schon ?- 6 Uhr ?! Na, dann wird es ja allmählich Zeit für mich... Tatsächlich, es wird ja auch schon hell draussen.. Ach ja- da, die ersten Autos- da, da, haben Sie gesehen ? Da sind ebengerade die Laternen ausgegangen... Naja, sobald der hier weg ist...“ er hebt sein Glas,

„...will ich ‘mal losgehen. Auch ein Frührentner ist nicht mehr der jüngste... allmählich beginnen die Zimperlein zu plagen, aber damit“‚er hebt erneut sein Glas, „fühlt man sich gleich jünger... damit gibt es keine Zeit...“

Er malt mit den Fingern in den Bierpfützen auf dem Tisch. Dann starrt er zur Tür, stemmt sich hoch und schlurft mühselig hinaus.

Der Barkeeper beachtet ihn kaum.

. . .

Wohl schon fünfmal hat er den Anlauf versucht, aber immer ist er vorher wieder umgekehrt oder vorbeigegangen, als hätte er es sich anders überlegt.

Jetzt sitzt er wieder an der Bar und blickt zum x- ten mal zum Telephon hinüber. Er streicht sich über die Bartstoppeln, rutscht vom Barhocker und geht geradewegs auf das Telephon zu. Energisch, fast heftig reißt er den Hörer von der Gabel, langt in seine Hosentasche und zieht ein altes, abgegriffenes Stück Papier hervor. Er langt noch einmal in die Tasche und wirft dann eine Reihe von Münzen in den Schlitz. Eine fällt scheppernd zu Boden und als er sich wieder aufgerichtet hat, hält er kurz inne. All seine Energie ist verflogen, er wirkt irgesdwie unsicher. Einen Moment lang scheint es, als wolle er den Hörer wieder auflegen, aber dann wählt er langsam die Zahlen:

„He, du Scheiß-Telephon, gib mir bloß die richtige Nummer ... hoffentlich weiß sie noch... ist ja schon so lange her... ob sie meine Stimme noch erkennen wird-

Hallo, hallo- ist da Marta, hier ist dein alter Paul !- Das ist ein Ferngespräch, aber kümmer´ dich nicht um‘s Geld... Ist es schon 30 Jahre her ? ... oder mehr ?... bitte, Marta,erinnere dich...

Vielleicht können wir uns auf einen Kaffee treffen und wir bereden das ganze noch ´mal.

Ach, damals, die Tage... Marta, ich hatte doch noch so viel vor... wollte noch etwas erleben, ich war noch nicht reif für‘n Familienmensch. Ich wollte leben und nicht in der Vorstadt versauern, da bin ich halt durchgedreht...“

Das Kinn zittert, die Augen werden rot, er wischt sich über‘s Gesicht und versucht das Schniefen zu unterdrücken: „Ich fühl‘ mich so alt, aber... du bist‘ ja auch nicht jünger geworden... Hast du‘n Mann und hast du Kinder... ?- Weißt du, ich habe auch geheiratet... Hm, komisch, daß du jemanden gefunden hast‚ bei dem es dir besser erging...

Wir waren damals noch so jung... Marta,... das must du doch verstehen... Tag für Tag der gleiche Trott... nie eine Veränderung- das war damals nichts für mich... ich brauchte meine Freiheit... Marta, es tut mir doch auch leid... ich wollte dich nicht...

Ich war damals sehr impulsiv... das hat sich jetzt gelegt... Was damals passiert ist, daß mußte ich halt tun... aber...  die Zeit mit dir... Marta,... Marta, ich liebe dich doch noch...“                      -

Der Arm sinkt langsam nieder und aus den klammen Händen fällt der Hörer.Während der unter dem Telephon hin- und herpendelt, ertönt ganz leise: „Tüt- Tüt- Tüt- kein Anschluß unter dieser Mummer...“

. . .

Der junge Mann sitzt an einem Tisch und schreibt etwas mit einem kurzen Bleistiftstummel. Ab und zu fährt dieser wild über das Papier, aber endlich ist er fertig. Aufatmend ordnet er die Zettel und überließt leise flüsternd noch einmal prüfend die Zeilen:

„Liebe Maria,

ich sitze hier allein in einer Bar und hier ist niemand mehr außer dem Mond und mir. Eben schleicht eine dicke, fette Katze über die Straße und die Erinnerung an dich läßt mich nicht los.

Maria, wie kann ich das beschreiben, was in mir gerade vorgeht ( das mit dir ). Aber, weißt du, ich habe kein Geld‚ ich kann dir keine Zukunft bieten, ich muß erst geben und etwas verdienen. Der Mond leuchtet über die Häuser und ich liebe dich, Maria, seit dem Tag, als ich geboren bin und ich werde dich lieben bis zu dem Tag, wo ich sterbe.

Aber Maria, versteh‘ doch, wir können erst etwas werden, wenn ‘ich dir ein gutes Leben bieten kann.

Maria, deshalb muß ich gehen, ich muß Geld verdienen, aber nicht hier. Das hier ist nichts für mich, dieser eintönige Alltagstrott. Woanders kann ich mehr Geld verdienen, aber wenn ich das Geld hab´, dann komme ich wieder und hole dich hier heraus, das verspreche ich dir.“

Hinten in der Bar fängt ein Mann neben seinem Bierglas an zu schnarchen.

„Maria, ich werde dich nie vergessen. Maria, ich liebe dich, aber sei mir nicht böse, wenn ich gehe.“

. . .

 „Ent... Entschuldigen sie, wenn ich sie anspreche...-aber ich beobachte sie schon die ganze Zeit, entschuldigen sie... ich, ich wollte sie ‘mal‘ was fragen- darf ich ?- Sie brauchen auch nicht zu antworten, wenn sie nicht wollen, aber... sie schreiben da dieganze Zeit- Schreiben sie über uns- hier ? Über uns, alte, das... das sollten sie nicht tun, ich... aber, nein,.. ich meine, natürlich dürfen sie das tun- aber beurteilen sie uns nicht falsch. Darf ich mich setzen und ihnen ‘was erzählen ?- Ja ?- Danke. Wissen sie, wir waren nicht immer so, wir waren auch ´mal jung und hatten unsere Träume, wollten so viel... waren nicht immer so. Sehen sie- ich liebe meine Familie und habe Freunde und mein Häuschen, aber eigentlich... eigentlich wollte ich immer weg, in ferne Länder- über‘s Meer... Nein, nein, geh‘ du weg- jetzt erzähle ich ihm, nicht wahr?- Jetzt hören sie mir zu ?-

Wissen sie, sehen sie- viele, viele von meinen Leuten, also Vater und Großvater und so, die waren Seeleute- Wissen sie, ich arbeite im Hafen und wenn ich so frühmorgens ‘aufstehe und zur Arbeit gehe so über die Kais entlang und ich seh das glitzernde Wasser, die Lichter, die sich darin spiegeln... dann... dann spüre ich es ganz stark in mir, dann will ich auch weg, mit irgendeinem Schiff- Aber, wissen sie, wenn ich         dann so arbeite und so darüber nachdenke und ich denke an meine Frau...

Aber trotzdem, es muß schön sein, da draußen...“

Sein Körper erbebt unter einem plötzlichen Hustenanfall. Nach einiger Zeit fährt, er fort: „Die fremden Städte, da träum‘ ich schon lange von... Kalkutta, Bombay, Hong- Kong, Bankok, Singapur, Sumatra, Borneo, Tahiti...

Das... das schreiben sie ‘mal da auf,  da...“ und deutet mit ungelenk- zitternder Hand auf die Blätter.

„Sehen sie, ich hab‘ auch schon ‘mal so ein Abschiedsschreiben, also so ein Brief, wo drinsteht, daß ich weg bin und sich keiner Sorgen machen soll... mal so aus Spaß aufgesetzt, weiß natürlich keiner ‘was von, aber ich hab‘ ihn noch.

... die ganze Zeit aufgehoben, wenn ich doch ‘mal wegfahr‘.-

Und eines Tages, eines Tages fahr‘ ich doch noch ‘mal weg...“

. . .

Die Tür fliegt auf. Ein kalter Windhauch weht polternd einen Mann herein, der schon von weitem schreit: „Hey,‘n Bier,Mann !-

Hey, Leute, ich muß euch erzählen: Als ich eben mit meinem Truck unterwegs war,in ‘ne Stadt ‘reingefahr‘n, um die Wette mit ‘nem Zug und so, der kalte Wind pfiff um die Kabine, wahnsinniges Feeling, da so mit 100 Sachen über die Piste zu donnern, echt, wahnsinniges Feeling, aber- daß wollte ich euch nich‘ erzählen, also, ich fahr‘ da so und was soll ich euch erzählen, glaubt‘s mir oder glaubt‘s nich‘, da treff‘ ich doch ‘n Kumpel, den ich schon seit 10- ach was, viel mehr, seit 12 Jahren nich‘ mehr gesehen hab‘. Also, der fährt da auch so lang- naja... und klar, da haben wir uns erst ‘mal ‘n bißchen über CB unterhalten, über die alten Zeiten, die flotten Feger und so, also wir fahr‘n da so lang und jetzt wird‘s echt, ey, Wahnsinn, ihr glaubt es nich‘, also, was soll ich euch erzählen, da treffen wir doch noch‘n Kumpel, auch seit Ewigkeiten nich‘ gesehen- und ich weiß nich‘‚ wer die Idee zuerst hatte, aber, so in Erinnerung an die alten Zeiten, ey, wir war´n echt harte Brummer damals, ich mein‘‚ die Jungs haben auch heute noch schwer ‘was drauf, aber- also, da kommt doch einer auf die Idee die Piste, also, die Autobahn, ‘mal ‘n bißchen dicht zu machen und, echt, wenn die ‘was wollen, das machen die auch, echt.Und dann so in Dreierlage nebeneinander mit 100 Sachen so- Wurmm- über die Piste, echt Wahnsinn, ne ?

Also‚ wir fahr´n da so nebeneinander her, hupen wie die Bekloppten, da seh‘ ich doch im Rückspiegel von der letzten Auffahrt, an der wir gerade vorbei war‘ n, so ‘ne Bullenwanme hinter uns her-‘ Christbaumbeleuchtung, alles an, ne ?- Naja, eigentlich dürfen wir ja auch      nur 60 fahr‘n-klar, Schwertransport und so, aber... naja- egal, da ruft ‘doch Charly, also, der ganz außen gefahren is‘ und sagt‚ daß wir den nich‘ durchlassen soll‘n, immer so nebeneinander weiterfahr´n, dann kann er ja nich‘ vorbei, nich‘ ? Also wir weitergefahr‘n, immer noch so mit 100 Sachen und der hinter uns kommt und kommt nich‘ vorbei, pendelt von einer Fahrbahn auf die andere und wieder zurück, ha,ha,ha- ein Bild für die Götter- und kommt und kommt nich‘ vorbei, ha, ha, ha, ha... Aber dann, der is‘ ja auch nich‘ doof, oder so, ne ?- also, da kommt dann so ‘ne Tankstelle und ich hab‘ da schon so ‘ne Ahnung und richtig, der, also, der Bulle, also, so über die Ausfahrt, über die Tankstelle und dann so vor uns wieder auf die Autobahn ‘rauf- aber Charly hat das auch gemerkt und sagt: ‘Los, Jungs, drückt auf die Tube‘ und dann aber Schmackes und gib ihm Saures und los und los und los und los. Nich‘ das der da nebenan schneller is‘ ‚ oder so und sich dann vor uns setzt. Echt, die Maschinen schon am röhren, aber trotzdem is‘ er dann auf.gleicher...und kommt dann so zur Auffahrt wieder zur Autobahn und kommt da angeschossen und zu viert passen wir da nich‘ auf die Autobahn drauf und ich denke, echt, der rammt mich gleich- da bremst der Typ doch voll ab, echt, ne, und das quitscht und qualmt und der dreht sich- iihiichch- so ´n paar mal um sich selbst, aber trotzdem, so- Wupp- rutscht der dann doch noch so mit dem Hinterteil in den Straßengraben und dann saß der da so fest, Hintern im Graben und Vorderräder hoch in der Luft! Ha,ha,ha,ha-echt, selten so gelacht, ha, ha. Warscheinlich steht der da immer noch so, ha, ha, ha... na,herrlich... aber, ich muß weiter, Leute... hier- für das Bier- also, Leute, Tschüß,  ‘n schönen Abend noch- Tschüß !“

. . .

Mit Hilfe zweier alter, großer Krücken durchquert er den Raum, während das rechte Bein wie lahm über den Boden schleift.

Am Ecktiseh angekommen setzt er sich erst und stellt dann die Krücken an die Wand. Nachdem er den abgewetzten Mantel mühsam ausgezogen und ihn auf einen Nachbarstuhl gelegt hat‚legt er die Hände auf den Tisch und lehnt sich erleichtert zurück.

Nach einem schnellen Blick in die Runde sagt er:

„Mehrmals verwundet und was hat‘s gebracht ?-

Fhh, ich kann jetzt noch nicht ‘mal ‘n Bier bezahlen.- Sieh mich doch an- Komn, gibst mir ‘n bischen Geld ?

Ich bin ein unschuldig Beteiligter des blindwütigen Krieges und wurde auch nicht gefragt, ob ich Soldat werden wollte und an.die Front... Keiner sprach unsere Sprache, trotzdem, sie waren alle freundlich und dann hab‘ ich mich verliebt.., in ein nettes Mädel da...“

Er wiegt leicht den.Kopf und summt ein paar Takte eines Liedes.

„Und was hat‘s gebracht, bin für‘s Vaterland marschiert- und heute ?-Heute kläffen die Köter mir nach und kein Taxi würde mich mitnehmen. Ich bitte dich, urteile nicht nach dem, wie ich jetzt aussehe... . mit dem...“

und er nestelt unbeholfen an seinem offenem Hemd.

„Heute bin ich wirklich erledigt, total fertig. Schubs mich nicht weg, als wär‘ ich schon tot und begraben.- Ich bin nur hier drin, weil es draußen.regnet und so kalt ist und ich nicht weiß, wo sonst hin... Was soll ich machen ? Was bleibt mir übrig ?“

Er blickt auf den Tisch: „Ich hab‘ mein St. Christophorus Medallion nie weggelegt, hab‘ immer dran geglaubt... und trotzdem verwundet.- Kann ich mir ‘mal.‘ne Zigarette dreh’n  ?“

Er bemüht sich sichtlich, die zitternden Hände beim Zigarettendrehen unter Kontrolle zu bringen, strengt sich mit aller Macht an, um ruhig und gleichmäßig zu drehen. Dabei spannt er die Muskeln aber so an, daß die Hände nun erst recht erbeben und teils heftig zucken.

Und da ist es auch schon.geschehen- die Zigrette zerreißt.

Mit einer impulsiven Handbewegung wischt er die Reste vom Tisch. Dann sieht er voller Verzweifelung auf die jetzt wieder nur leicht zitternden Hände und ballt sie langsam zu Fäußten.

„Guck‘ dir diese Hände an, was kann man damit schon machen ?- Wer will einen schon damit haben ?- Dabei- wenn ich bei.den Striptease-Shows die Bilder draußen sehe... die.. die jungen Mädels... ich wünschte- ich könnte sie ‘mal, umarmen,.. würde... möchte... berühren...

Die Hände öffnen sich langsam, doch dann ballt er sie wieder.

Nach einer Heile murmelt er: „... diese Wunde wird niemals heilen...“ und dann: „Glaub‘ nicht, daß ich nur Mitleid schinden will, daß ich dir leid tun will, damit du mir hilfst. Da ‘kannst du jeden fragen, so einer bin ich nicht.- Ich halt‘ das nur nicht aus, daß keiner fragt wohin du heute gehst, ob du lebst oder stirbst.

Aber...

Ich kann doch auch nichts dafür...“

. . .

Verhalten nörgelnd stemmt er sich hoch, umrundet‚ indem er sorfältig einen Fuß neben den anderen setzt, seinen Tisch und läuft mit viel Schwung auf den Ausgang zu. Da er aber doch zu sehr schwankt, verfehlt er die Richtung und fällt auf halbem Weg fast auf einen Tisch.

Scharfsinnig sich beim Aufrichten umblickend meint er dann ganz gelassen: „Das Klavier is‘ ja besoffen... das... das Klavier... besoffen...“

Dann nimmt er einen zweiten Anlauf in Richtung Tür und fügt bestimmend hinzu, als er diesmal bei seinem Ziel landet und schon haIb draußen ist: „Nicht ich... !“

. . .

„Ob dieser Platz noch frei ist ?- Aber sicher, setzen Sie sich.“

Er guckt verklärt in die Luft.

„Yeah, man, das waren früher noch Zeiten, das Gehupe der Autos, das Hallo deiner Freunde und so das ganz Gemächliche mit dem Auto so die Straße ‘runter. So hinter‘m Steuerrad, die eine Hand am Steuer, den anderen Arm um deine Flamme, in ‘nem great big car, das Verdeck auf, so die Straße ‘runter, immer ‘n.Blick für deine Freunde. Die Luft... mhhh, so mild. Darauf hat man die ganze Woche gewartet,... auf den Glanz der Lichter.

Die ganzen anderen Tage schuftest du dir dein Kreuz krumm und lahm und.das einzigste, was dich am Leben hält, ist der Gedanke an Samstagabend und dann- slow down...

Zündschlüssel ins Schloß und der Motor springt blubbernd an und dann, easy time, slow motion- yeah, man, why don‘t you stay cool, man, cool... Die Straße- hellerleuchtet, die Freunde und die Musik... ,die Musik, yeah, man, it‘s paradise... du rollst durch die Nacht... die Leute kommen dir in ihren Kisten entgegen, yeah, man... irgendwo schrillt ein Telephon... hier ´n Wink, da ‘n Hallo...

Dann hälst du ‘mal an, hälst ‘n kleinen Talk mit ‘n paar Leuten, ‘n Bier, holst deiner Freundin ‘n Eis... das Girl hinter‘m Tresen lächelt dir zu... und zurück zum Wagen, yeah, man...

Aus den vielen Autoradios kommt der gute, alte Rock‘n Roll und erfüllt die Luft- The Pretenders: Only you... pa- pa-pa, pa- pa-pa, pam, can make my heart come through... only you... - yeah, man... und dann, in‘s Autokino... Jeder kannte die Filme, dutzendmal gesehen, aber das war auch nicht das Wichtigste... wir hatten uns da alle wiedergetroffen,yeah,man... und dann hat man seiner Flamme ‘mal tief in die Augen gesehen- you know what I mean ?- Da war manchmal mehr Action, als oben auf der Leinwand...“

Er grinst süffisant.         

„Und dann zurück auf die Hauptstraße, yeah, man... das waren noch Zeiten... hm- hm-hm,hm- hm-hm,hmm- only you...“

. . .

Die Augen nur noch halboffen, aber dennoch das Kinn energisch vorgereckt wankt der Koloß heran und knallt sein Bierglas derart auf den Tisch, daß der Schaum hochaufspritzt und außen am Glas hinunterläuft, um dann eine große Pfützezu bilden.

Danach läßt er sich schwer auf den Stuhl fallen.

Er zündet sich umständlich einen Zigarrenstummel an und pustet seine Fahne aus Alkohol‚ Nikotin und Mundgeruch über den Tisch. Eine Zeitlang mürrisch, fast feindselig starrend, poltert er dann dröhnend los: „Na, was hat denn die schwule Sau eben von dir gewollt,was ?..

Was hat er denn so lange zu erzählen gehabt‚ dieser mickrige Hanswurst ?- Der soll mir bloß nich‘ in die Quere komm‘. Wenn ich den ‘mal in die Finger krieg‘‚dann haue ich dem die Schnauze voll.

Hat der dich auch von früher vollgelabert ?-

Ey, du Tunte- Hau bloß ab, do !

Damals... damals hätt‘ der Typ sich hier nich‘ seh’n lass‘n dürf‘n. Da war‘n Männer noch richtige Kerls und nich‘ solche Memm‘n. Das war‘n noch Zeit‘n. Da hatt‘n die Kerls noch ‘was drauf. Die hatt‘n Mumm, die vom Kai oder von den Werften. Und die Matros‘n, die hab‘n noch die Pupp‘n tanz‘n lass‘n, hier auf‘m Kiez. Da war ‘was los !-

Aber wenn die Trabb‘l mach’n wollt´n, dann war ICH da. Das gab‘s bei uns nich‘ ‚ Lokal zertrtümmern, oder so. Dann bin ich gekomm‘ und da war‘n baumlange Kerls, aber das hatt ihm ‘nich‘ geholf‘n.-

Guck‘ dir ‘mal diese Arme an, do, die könn‘ zulang‘n- und diese Hände, wenn die ‘mal zupack‘n, daß lass‘n die nich‘ mehr los, do. Und wenn dann so ‘ne Memme glaubte... so ‘n Feigling,.. sich hinter ‘ner Knarre versteck‘n zu könn‘ und ‘n dicken Maxe makier‘n zu könn! Mann, da sollste ‘mal seh‘n, was da los war ! Windelweich hab‘ ich den geprügelt, windelweich. Ich hab‘ doch nich‘ Angst vor ‘ner Pistole nich‘‚noch nie nich‘ ! Wer ‘n ganzer Kerl ist, der brauch‘ so‘n Ding nich‘ und vor ‘nem Feigling hatt‘ ich noch nie Angst.

Ne, ne, ne, ne,aber- von den ander‘n, von den Schauermännern, oder so, da war‘ n hochanständige Kerls dabei, hochanständig, sag‘ ich dir. Die hab‘n nich‘ nachgetret‘n, wenn du ‘mal zu Bod‘n gingst, die nich‘. Die hab‘n immer gewartet, bis du wieder ob‘n warst und dann ging‘s erst weiter.Und wenn jemand fair zu mir ist, dann bin ich auch fair, da gibt das nich‘s. Prügel sind Prügel und Schnaps ist Schnaps und wenn man sich die Zähne ausgeschlag‘n hatt‘. Aber, die war‘n hochanständig und dann kannst du auch wieder ‘n Bier zusamm‘ trink‘n, mmh...“

und nickt gewichtig. Dann verfinstert sich sein Gesicht bedrohlich: “Was ist denn los ? Was glotzt du so ? Bin dir wohl nich‘ fein genug, was ?- Paßt dir wohl nich.‘, daß ich hier sitze, mit mein‘ dreckig‘n Hemd, was ?-

Mann, pass bloß auf, sonst hau‘ ich die eine ‘rein, do !- Ach, ‘s hat sich viel verändert. Damals hätt‘ sich keiner getraut mich scheel anzuseh‘n...“

Er brütet eine Weile vor sich hin.

Draußen verlieren sich die abgehackten Melodiefetzen eines Saxophons in der Nacht.

„Na, bist wohl nich‘ gewöhnt, daß einer wie ich dich anspricht. Denkst, der alte Penner soll doch geh‘n, wo er hingehört- in die Gosse ! Denkst, du doch, ne, do ?- Sag, denkst du doch ?- Na, na, na, tu‘ nich‘ so, natürlich denkst du das ! ... Setzt sich hier hin und denkt er ist schon ‘was. Millieu- Studien, wie die fein‘ Pink‘l das nenn‘. Mal für ‘n Nachmittag zu den Pennern setz‘n und darüber schreib‘n. Und dann groß ‘rumerzähl‘, man hätt‘ ‘mal bei dem Arbeitern gesess‘n.

‘N paar an‘s Herz gehende Artikelchen und das war’s dann mit der Chose- auch daß ist Ausbeutung !

Ach !“ winkt er impulsiv ab.

„Ich muß weg, sonst krieg‘ ich noch das Kotz‘n, ne ?

Joh !

Da guckste, ne ?

Von solchen Leut‘n wie dir krieg‘ ich nämlich immer das Kotz‘n !“

. . .

Versöhnlich herüberlächelnd, sagt er sanft: „Hier‘s gäh‘ ich gärn hin, wennst der Abend kummt. Hob‘s zwar... nich‘s viel Geeld um´acute;s ‘was zu kaoufen, aber... fir‘s Bier reicht‘s ihmmer un‘... noh,‘s broucht d‘r Mensch mehr ?

Ich mog d‘ Stodt, diese vuilen Nischen, versteckte Winkel... doa findst‘a ihmmer ‘n Plotz, wo’s über Nocht bloiben koanst un‘s is‘ ouch nich‘ so koalt in d‘r Stodt wie‘ra onderswo... ihmmer is‘ irgendwo ‘n Luftschocht.

... un‘ im Sommer... jäh- noh, doa is‘s Leben, d‘ warme Luft, d‘ vuilen, bunten Lichter un‘ d‘ Geriche... mhh... jah- noh, wie‘s Tousend un‘ ein‘ Nacht... herrlich, oinfach herrlich.

... noh, gäg‘n Großstodt ‘s alles‘a nich‘s...“

Und mit einem pfiffigen Blick aus den Augenwinkeln und einem verschmitzten Schmunzeln beginnt er einige Takte ´I left my heart in San Francisco‘ zu pfeifen.

„ ...‘s mein Lüblingslied, noh... Frenky- Boy, der hat‘s ouch ‘s Gefiehl dafier... noh, ‘s Stodt...‘s scho‘ ‘was scheenes...

...‘s egal, wer‘a bist oder ob‘s ‘was boast, hier hat‘s ‘a jeder sin Auskommen...“, meint er und zieht den Kopf zwischen die Schultern.

Dann fischte er aus einer seiner Manteltaschen eine kleine, vielfach angelaufene Mundharmonika und beginnt mit viel Seele sein Lied weiter zu spielen.

Zwischendurch setzt er einmal kurz ab und erklärt schwärmerisch: „... noh- joh,‘s Leben is‘a moanchmal wie‘ra Fest... noh, was wie‘ ma‘ möhr...“ und spielt weiter, bis er irgendwann sagt: „... noh, jetzt muß i‘ra ‘mol an Stonge Wosser wegstell‘n...“

Und während er langsam und behutsam auf die Toilettentür zutappt, spielt er immer noch und fast scheint es, als tänzele er bei seinen Schritten.

. . .

„Es ist hart. hier zu sitzen und nichts zu tun zu haben... die alten Gesichter der anderen zu sehen... tagelang... keine... Aussicht auf Besserung, daß es wieder anders wird... keine Chance, daß man wieder arbeiten kann... alles vorbei...

Hab‘ damals gleich mit 16 angefangen zu arbeiten und gleich bei dem Betrieb. Erst die Lehre, dann in der Halle und zuletzt an der Rampe, wo die Züge uns die Güterwagen hingeschoben haben... aber jetzt ist da nichts mehr los...

Gibt es etwas armseligeres... etwas... trostloseres, als eine verlassene Fabrik ?

Die Kantine, die wurde als erstes dichtgemacht. Es bestünde keine Notwendigkeit mehr, sagten sie, sind zu wenige, die noch da seien und dafür ist die Kantine zu teuer...

Ich war erst neulich wieder da.. du kannst dir das nicht vorstellen... keine...  kein Lärm... kein Leben... nichts... nur der Wind pfeift um die Ecken und die Sonne scheint noch in den Hof... es sieht alles richtig friedlich aus... idyllisch...

Da... da wo früher der Pförtner war, ist alles eingeschmissen und kaputt... die Gittertore rosten langsam vor sich hin... die, die großen Lagerhallen sind leer... nur noch Dreck... Abfall.... und Schmutz... und wir haben doch noch am letzten Tag alles aufgeräumt, gefegt und saubergemacht. Das Unkraut ist ja noch nicht ‘mal das Schlimmste, oder die kaputten Fenster... aber... es zerfällt alles, zerbröckelt und... und... und der Wasserhahn, selbst der Wasserhahn, aus dem 65 Jahre das Wasser tropfte, ist tot... und überall Scherben...

Ich weiß noch, am 20.1. letzten Jahres kam der Chef und sagte, daß es aus sei und... und dann gab er jedem einzelnen von uns die Hand... Die Züge, die fahren immer noch, ich höre sie noch manchmal in der Ferne tuten, aber jetzt fahren sie vorbei... Hier kommt keiner mehr her aus der Stadt... alle sind sie weggezogen, um sich neue Arbeit zu suchen... aber ich bin zu alt... ... schon zu alt... ich kann hier nur sitzen.. - und warten...“

. . .

„Sie gucken so kritisch umher, so geringschätzig. Das sollten sie nicht tun. Urteilen sie nicht nach dem, wie der Laden jetzt aussieht. Ich weiß, er ist ziemlich heruntergekommen, wie die Leute, lebt alles von der Erinnerung an die Vergangenheit. Aber da... da war das ‘mal ein ganz großer Laden. Hier haben sich alle getroffen. Und vor dem Kerl da drüben, dem Barkeeper, der ist auch der Besitzer hier, vor dem hatten alle Achtung gehabt, die höchsten.Bosse. Siehst du die Tätowierung am Oberarm? Ich weiß, daß ist jetzt ein heruntergekommener Laden, aber früher...

Damals hat sich kein Bulle hier herein getraut und die wichtigsten Leute, die großen Zocker... waren vielleicht etwas... rauh, hatten nicht gelernt, sich wie feine Pinkel zu benehmen, aber...

Da drüben, da, siehst du den Tisch da ? Da haben sie manchmal um Summen gespielt, da hätte einer vom uns sein Lebtag mit glücklich sein können... hm, Würfel und Poker... und da, am Billiard-Tisch, da hat manche Sternstunde geschlagen. Astreines Spiel konntest du da sehen. Kombinationen wurden da gestoßen, unglaublich. Da hat mancher seinen Queue vergoldet. Und da am Klavier, da ist die Post abgegangen, das waren Sessions, so ‘was gibt es nie wieder...

Hier konntest du jeden finden, jeden, der es geschafft hatte und die, die etwas darstellen wollten... aber auch junge Gesichter, die waren hungrig und so manch einer hatte es nachher geschafft. Weißt du, und deshalb waren hier auch alle; die Alten, die wußten, daß man hier gut zurecht kam und die Neuen, die hierher gekommen sind, um ‘was zu werden und die, die es nachher geschafft hatten, sind natürlich auch wieder hierher gekommen, klar.

Und, oh, Mann, was konntest du hier für Frauen finden, nicht diese billigen Flittchen, nein- die hier waren allererste Spitzenklasse, das waren Ladys...

Aber bei alledem, hier hat es nie Schlägereien gegeben, dafür haben der Rausschmeißer und der Barkeeper schon gesorgt. Meißtens hat ja der Rausschmeißer die Sache unter Kontrolle gehabt. Aber wenn alle Stricke reißen sollten, dann hatte der Barkeeper, Gott weiß woher, eine abgesägte Schrotflinte in der Hand gehabt und oh, Mann, der hätte sie wohl benutzt, da hätte der nichts gekannt...

Aber, wenn man ‘mal richtig fertig war, sich ausquatschen mußte, dann war er immer für einen da, mit einem Rat und ´nem Kurzen... da hat niemand umsonst an seine Hintertür geklopft. Immer hatte er einen Teller Suppe und ein Stück Brot übrig...

Aber der konnte auch hart wie Stahl sein. Als ‘mal so eine... so eine Gäng... so ein Syndikat hier Schutzgelder-  ha, ha, ha, das... mußt du dir ‘mal vorstellen, so ein Kerl und soll Schutzgeld bezahlen, DIE hätten lieber Schutzgeld an ihn bezahlen sollen. Aber die hatten die Rechnmng ohne den Wirt gemacht. Der ist mit ihnen Schlitten gefahren, aber hallo. Die haben sich hier nicht mehr hierher getraut.

Also beurteile den Laden nicht nach den alten Figuren, die jetzt hier herumsitzen. Hier war ‘mal schwer ‘was los, der Laden hatte seine große Zeit- glaubst nicht, ne ? Glaubst nicht...

Hier ist so manches große Ding geplant worden, mancher Deal ist hier über den Ttsch gegangen...und wer weiß,vielleicht ist hier so mancher auf eine Schwarze Liste gekommen, der sich dann später im Rinnstein wiedergefunden hat... hier ist manche Karriere angefangen und auch etliche kaputt...

Und wenn einer aus dem Bau gekommen ist, immer zuerst hier herein... die alten Kumpel begrüßen...

Ach, schöne Zeiten damals... schöne Zeiten...“

. . .

„Hört mir ‘mal zu, ey, hört doch ‘mal- ich muß euch ‘was sagen:

Da, da ist eine große Höhle unter uns und... und da ist Gefahr, denn da geht ‘was vor, da unter uns.

Da ist eine große, schwarze Stadt und... und ich hab´ sie enddeckt, da ist eine ganze Welt, da...

Da wimmelt es nur so von Leuten und... und sie sind wach, während wir hier oben schlafen geh‘n. Sie seh‘n genau so aus wie wir, sie leben hier mit uns, sie sind unter uns, aber Nachts geh‘n sie ‘runter und bereiten sich- sie hecken ‘was aus und... und das ist nichts Gutes.-

Ich hab‘s gesehen, mit Baggern und Krähnen und LKWs graben sie Gänge von Stadt zu Stadt- gerade jetzt hier unter unseren Füßen. Glaubt mir, ich hab‘s gesehen!

Seit auf der Hut, da ist eine andere Welt unter uns... eine böse Welt.

Und sie machen sich bereit und... und sie marschieren.... und eines Tages wachen wir nicht mehr auf und... und SIE beherrschen die Welt.

Ich hab‘ euch gewarnt. Seid- auf der Hut ! Vertraut niemanden ! Denn euer Nachbar könnte einer von ihnen sein.

Ich hab‘ euch gewarnt !“

. . .

Barmusik klimpert müde aus einer alten Lautsprecherbox neben der Bar.

„Ähh,... Paul zog hier eines Tages hin, ähh... dahinten in die Querstraße und hing seine wilden Jahre, ähh... an den Nagel, denn seit er geheiratet hatte, ähh... wollte er seiner Frau keinen Kummer machen. Er verkaufte gebrauchte, ähh... Büroeinrichtungen, zog viel ‘rum im Land und als er, ähh... 15 Mille beisammen hatte, tat er es auf  die Bank, 15 %‚ langverzinst, ähh... für die Kinder, später ‘mal, ähh... war schon ‘n gutes Geschäft...

Seine Frau war´n nettes Mädchen, keine Extraklasse, aber, ähh... nett. Machte gute Cocktails auf den Partys.

Paul sagte immer, ähh... gut. in der Küche und gut im Bett, was will man mehr !- hrgm !“

Er hüstelte kurz.

„Ich glaub‘‚ ähh... Paul war wirklich glücklich, die Zeit, aber, ähh... Eines Tages, als er wie üblich von der Arbeit kam, da hielt er unterwegs beim Kiosk an, kaufte sich fast ‘n ganzen Kasten Bier, ähh... und zischte es unterwegs weg, ähh.... holte -dann zu Hause aus der Garage ‘n Kanistar Benzin, ähh... holte dann alles aus dem Haus ´raus, schmiß den ganzen Krempel, ähh... Möbel, und so, ähh... auf einen Haufen, das ganze Gerümpel, ähh... kippte das Benzin ‘rüber und steckte es an, setzte sich ins Auto auf der anderen Straßenseite und sah zu, wie es brannte, ähh... und lachte... hm... sah zu, wie es die Nacht erhellte, weithin leuchtend, ähh... sah in die roten und gelben Flammen und, ähh... Als er in der Ferne die Sirenen der Feuerwehr hörte kurbelte er die Fensterscheibe hoch, ließ den Motor an und fuhr weg... ja, ähh... einfach so... Richtung Norden.

Er konnte es wohl einfach nicht mehr ausbalten, ne ? Tja, ähh... verrückt... hrgm... ha, ha !“

. . .

“Kauf mir‘n Drink un‘- ick erzähl‘ dir, wat ich geseh‘n hab´. Ick erzähl‘ dir, wennst mir ‘n Wiskey spendierst, von ‘ner Menge Kohle un´ wo de se find’n kannst. Ne‚ wirklich, ick führ‘ dick auch hin, wennst mir nich‘ glaubst.

Ick führ‘ dick ‘raus in de dunk’len Eck‘n der Stadt, wo de Ratt‘n durch de Nacht husch‘n un‘ nich‘ nur de vierbeinig‘n. Dann quer über‘n Platz bei de Kirch´ un‘ wat unheimlicheret ha´t de noch nich‘ geseh‘n, wenn de paar kümmerlich‘n Lichter de Latern‘ Schatt‘n in de Nacht werf‘n un‘ wennst auf de Zehenspitz´n gehst, nur um kein‘ Laut zu mach‘n un‘- plötzlich !- irgendwo ‘n Köter anfängt zu kläff‘n un‘ de dick erschrickst bis in‘s innerste Mark un‘ Panik in dein Gesicht kriecht. Dann de Straß‘ ‘runter- ey, ick erzähl‘ dir das hier, nu... nu komm‘, nu laß man noch‘n Wiskey spring’n, ne ?- Also, wo war ick steh‘ngeblieb‘n, ach ja- vorbei an Joe‘s Spelunke un‘ ‘n Schupp‘n von de Ma Elly un‘ ihr‘n Pferdch‘n, hin zu ‘n Docks, wo dat Wasser so trügerisch glitzert un‘ lieblich sanft gluggert ‚ zwisch‘ n de Lagerhall‘n durch dahin, wo dat Versteck von Pastor‘n-Ede un-‘ sein‘ Jungs is‘ un‘ wo de se ganze Beute aufheb‘n un‘ nur ick weiß, wo Willy in der Nacht da war... Naja, weiter durch‘n verlass‘nen Lad´n an de Querstraß‘, auf’n Hinterhof un‘ von da auf‘n Platz, wo de Mülltüt‘n verrott‘n, kannst mir folg‘n ?- Gut, dat is‘schön.

Weiß‘te, ick bin nämlich ‘n Spezi von dem Willy, dat war schon immer un‘ deshalb weiß ick auch, wo er hin is‘, als er sich de 500 Mille geholt hat, verstehst de, unter‘n Nagel gerissen un‘ so.

Durch de halbe Stadt ‘n se ihn gejagt, sowat hat Pastor‘n-Ede nämlich nich‘ gern‘‚ dat man ihn behumst un‘ dann gleich um so ville. Ick sag‘ dir, da ging der Tod um, in de Stadt. Denn- ‘n Willy hatt‘n se schon erwischt, blutete wie ‘n Schwein, hatt‘s zwar mit‘m Lapp‘m verbund‘n, aber‘e war aus mit ihm un‘ dat wußte er. Also hat er‘n Zaster versteckt un´ is‘ dann zurückgekehrt, mit zwei Löchern im Pelz.

Gehetzt- niemand, dem er vertrau‘n konnte, immer nur vorwärtsgelauf‘n. Weiß‘te, kennst de dat Gefühl gejagt zu werd‘n, um dein Leb‘n zu lauf‘n, überall Feinde, überall Leute, de dir an´s Leder woll‘n- ne, is‘ nich‘ schön, dat Gefühl.

Dahint‘n is‘ er dann zusamm‘gebroch‘n, an de Ecke da, aber er is‘ weitergekroch‘n, in de Nacht, ‘s hat geregnet, deshalb sah ihn niemand. Bis zu de übernächst‘n Ecke hat er‘s dann geschafft, hat sich an de Hauswand hochgezog‘n un‘ wie er dann so stand, hab‘m ihn dann de Jungs von Ede enddeckt un‘ ihn dann so richtig fertiggemacht. Erst mit‘n Fäust´n, dann mit‘n Messern- richtig abgeschlachtet hab‘n se ihn,während de tief‘n Wolk‘n dahinjagt‘n un‘ ‘s überall donnerte un‘ blitzte. Un‘ dann, als irgendwo ‘ne Glocke schaurig anschlug, is‘ er dann mit‘m gotteslästerlich‘n Fluch auf de Lipp‘n krepiert. Ja, so ging dat zu.-

De Leich‘ hat man dann woanders gefund‘n, mit 25 Messerstich‘n- ey, wat is‘‚ noch ein‘ für mich ?- Also, weiter ‘n Weg, dann in ‘n Gully, ‘runter bis in de Kanalisation. Nimm lieber schon ‘mal ‘n Tuch mit, stinkt da nämlich nich‘ schlecht un‘ wenn wir dann so gebückt durch de Scheiß‘ wat‘n, is‘ nämlich nich‘ hoch da, da rnust´e dir ‘mal vorstell’n wie Willy sich gefühlt hat.-  Aber dat is‘ nich‘ so schlimm, wie‘s sich anhört, darfst nur ´nich‘ hinfall‘n.

Un‘ dann wieder ‘raus. Un‘ in ‘n alt‘n Ruderkahn, über‘n Fluß, bis zu de alt‘n Güterbahnhof, wo jetzt niemand mehr is‘ un‘ dat Unkraut zwisch‘n de Gleis´n wuchert.

Un‘ während de ganze Stadt schläft un‘ der Mond langsam über´n Himmel wandert, renn‘ wir über de Gleise, denn ‘s muß schnell geh‘n un‘ wir müss‘n vorsichtig sein. Denn wenn se wiss‘n, dat wir dat Geld hol‘n geh‘n sind wir unseres Lebens nich‘ mehr sicher, denn wenn wir ‘n Zaster hab‘n un‘ se konnt‘n uns folg‘n, kill‘n se uns genauso wie ‘n Willy.

Dat kann ein‘ schon abschreck‘n, nich‘ ?- Ick kenn‘ Kerls, groß wie ‘n Baum un‘ stark wie ‘n Bär, mutig wie ‘n Tiger, aber de würd‘n sich nich‘ trau‘n, de würd‘n de Finger davon lass‘n, de hätt‘n Schiß.

Aber de brauchst kein‘ Angst zu hab‘n. De hast auch kein‘‚nich ?- Dat sieht man dir an. De bist ‘n richtiger Kerl, de hast Mumm in de Knoch‘n. Un außerdem, de hast ja mir bei dir, un‘ ick kenn‘den Weg un‘ weiß, wie man se abschüttelt .

Un‘ dann, am Ende det Feldes, bei de alt´n, verrostet‘n Güterwag‘n, da is´ de Kohle vergrab‘n, unter de Prellbock.

‘s soll dir gehör‘n, wennst noch ein‘ ausgibst. Dann- führ‘ ick dick da ‘hin.“

. . .

„Er kam zurück aus dem Krieg und hatte ‘ne Kugel im Kopf, sah schwarze Schmetterlinge und einen verrückten roten Hund, der nicht stillsitzen konnte. Er kümmerte sich um Arbeit, aber niemand wollte ihn haben und so spielte er in den Kneipen mit so ‘ner Quetschkomode- aber so ‘ne kleine, wie die Clowns eine haben- ach, ähh....Konzertina heißt das, glaub‘ ich, kann‘ das sein ?-

Er soff ‘wie ein Loch und sagte andauernd, wie gut es sei endlich wieder zu Hause zu sein.“

Er zieht an dem Zigarettenrest.

„Er kam zurück aus dem Krieg und später operierten sie ihn, holten die Kugel ‘raus und seitdem trägt er eine Stahlplatte am Hinterkopf, aber die Schmetterlinge blieben.

Nur war er jetzt sehr unruhig, starrte wild umher, als warte er auf  ‘was und stammelte davon, daß es jetzt jeden Tag losgehen könne. Er holte alles zusammen, was er hatte, steckte alles in einen Koffer und

hockte sich in die Nähe des Telephons hier und so ‘blieb es 27 Jahre. Ab und zu spielte er noch auf seiner K... Konzertina, aber woher er das Geld hat um seine Drinks zu bezahlen, weiß keiner.

Einige munkeln von einem reichen Onkel, andere glaubten zu wissen, daß er, als er noch bei der Armee war, im Krieg, einen gerettet hat, der nun, aus Dankbarkeit, Geld überweist, aber genau weiß es eigentlich keiner.-

Sieh ihn dir an, da hinten in der Ecke. Einige sagen, daß er eigentlich nie richtig bei Sinnen ist, immer woanders mit den Geganken. Manche denken, er ist verückt und er sollte am besten in‘s Irrenhaus kommen.

Aber solange er niemanden ‘was tut‚ finde ich, sollten sie ihn in Ruhe lassen.“

. . .

Zusammengesunken sitzt er am Tisch, blickt langsam hoch, kramt aus seinen Taschen eine alte Zigarettenschachtel hervor und sagt leise, fast flüsternd: “Bin überall gewesen, den ganzen Scheiß- Krieg... war überall dabei... und heute...jetzt krieg‘ ich... krieg‘ ich nicht ‘mal mehr ‘nen Job... höchstens ‘mal Tische putzen, irgendwo fegen, oder so... Das einzigste, was ich je geschafft hab‘‚ war, daß ich Soldat gewesen bin... war immer der erste, mit Gewehr, den Stiefeln und der Uniform... hab‘ sogar Orden gekriegt... guck ‘mal, hab‘ ‘ne ganze Schachtel davon...

Der hier ist für Tapferkeit und... und den hier... kannst du kriegen... wenn du mir ein Bier ausgibst...“

Er starrt vor sich hin, wühlt gedankenverloren in der Schachtel, während sich die Lippen leise bewegen: „... wofür das alles... vertane Zeit...“

Er blickt wieder auf und sagt: „... der hier ist für Tapferkeit... und der da ist für dich... für... das einzigste, was ich noch brauche... das einzigste, was sich noch... sich noch lohnt...“, als er langsam wieder in sich zusammensackt.

. . .

 „Alle, alle sind sie fortgezogen, nur die Hunde streunen nur noch durch die Straßen... das ist alles... ja, ja...

Wir, wir Alten treffen uns ja nur noch bei den Beerdigungen, wenn wieder einer von uns hier aus der Gegend zu Grabe getragen wird... und so allmählich wird ja der Trauerzug auch immer kürzer... ja, ja... Und jeder stellt sich ja die bange Frage, wer wohl der nächste ist... ja, ja...

Wann wir wieder einen von uns begraben und die anderen hinter ihm in Schwarz herlaufen...

Die Jungen und Arbeitsfähigen sind ja alle weggezogen, alle weggezogen... ja, ja...

Wer will hier denn auch schon leben... in so einer armseligen Gegend, so heruntergekommen... ohne alles... ach, ja, ja...

Der Lebensmittelladen nebenan hat ja auch schon lange dichtgemacht... die Kinder können ja noch nicht ‘mal ein Eis kaufen, die ist nämlich ausgebrannt, die Eisdiele... ja, ja...

Und sonst- ach, alles geschlossen... ja, ja... Kino... Post... der Kiosk- alles dicht... -ja, ja...

Der Bahnhof ist zu, die Gleise stillgelegt... die Schule- verlegt... und selbst die Kirche- manchmal spielen ja Kinder drin- man hört sie ja kichern... aber, ist ja niemand mehr da, der sie wegjagd...der Pastor ist ja weg... ach, ja, ja...

Hach, warum ist das nur so ? Dieses langsame... Verrecken der Stadt. Ach, warum kann es nicht wieder sein wie früher ?“

Am Nebentisch summt ein Mann plötzlich ein paar Takte Marschmusik und trommelt dazu mit den Fingern auf den Tisch.

„Und der Junge von drüben, von der anderen Straßenseite, gegenüber, hat sich ja freiwillig zur Armee gemeldet... ja, ja...

Nur um hier wegzukommen... ja, ja, das hat er getan... hier gibt‘s ja auch nichts mehr...

In den Häusern stehen ja immer mehr Wohnungen frei... man sieht von der Straße aus immer mehr leere Fenster... ja, ja...

Und irgendwann, wenn keiner von uns mehr da ist... wird bestimmt saniert... dann ist alles weg... und nichts ist geblieben... selbst die Erinnerung ist tot...“

Der Wind weht eine herumfliegende Zeitung an das Fenster und wieder weg.