Bentheim

Gleich hinter unserem Garten begann das Abenteuer-

der Wald
warm, weich, behutsames
Dunkel,
voller Geheimnisse,
Überraschungen
und Wunder

erst der Weg, dann-

der Feldherrenhügel.
Hier zogen sie alle vorbei:
Alexanders Heere,
die Elefanten Hanibals,
die Legionen Cäsars,
Napoleons Armeen,
Sitting Bulls Sioux,
von hier oben befehligte ich sie alle,
ließ sie ‘rauf und ‘runterstürmen,
war zugleich auf beiden Seiten

dahinter-

der umgestürzte Baum, die Wurzeln mit aus dem Boden gerissen:
meine Huckleberry Finn- Hütte- los, gib die Pfeife,
meine Burg- Zugbrücke ‘rauf, her mit dem heißen Pech,
mein Piratenschiff- hoch den Jolly Roger, Breitseite, Feuer, Entern,
mein Fort- an die Palisaden- Vorsicht, Jungs, erst schießen, wenn ihr das Weiße in den Augen seht,
mein Tresor- gut, und mindestens zehnmal eingewickelt, die geklauten Zigarren

und dort auf dem Waldboden lag alles in Massen-

die Pistole Jesse James,
der Degen d’Artagnans,
die Lanze Ivenhoes,
die Keule von Hercules,
der Bogen Robin Hoods,
der Henrystutzen von Old Shatterhand
der Tomahawk Winnetous

auf dem Weg ­zum Spielplatz, vorbei an Brennesseln-

schritt würdevoll Hector an ihnen vorbei, mit gar fürchterlich flatterndem Helmbusch, sie mit gestrengem Blick messend- ja,zittert bloß- und schrecklich wütete er unter den Griechen­ bis ich in einem niedergehauenen und zertrampelten Brennesselfeld innehielt, weil der Ruf zum Abendbrot kam.

Sonntagsspaziergang:

Tüschenbrook hoch, rechts ‘rein in den Wald, vorbei an den Fuchsbauten, zu dem welligen Weg, der zum Wassermann führt, durch die Grenzsteine hinunter zum Hexenwald mit den fliegenden Elefanten.

Hinaus aus dem Wald, über die Wiese, rechts Weizen, links Mais, gesäumt von Kornblumen und Klatschmoon, in den alten Steinbruch, Teile des Schützenfestadlers und leere Schrotpatronenhülsen, der Bunker, zurück in den WaId und dann- nach Haus

Jahrelang- spielen in der vertrauten Ewigkeit,
geborgen in der Gewissheit, hier wird sich nie etwas ändern.

. . .

Nur 6 Jahre später: zurück- die Burg, die Straßen, hundertmal gegangen
- Wehmütigkeit –
hier und da ein neues Haus, fast exotisch,
verfremdent die verklärten Erinnerungen,
wie klein erschien auf einmal das früher so vertraute daheim-
fast wie ein Puppenhaus

Nächster Morgen- sonst immer von lautem Vogelgezwitscher durchbrochen
­Stille -
dumpfes Erahnen
dann voller Ungeduld in den Wald- aber- was ist das?

Die Wege, zugewachsen- mein Hügel, eine flache Erhebung, trägt einen kleinen Urwald aus dünnen Bäumchen- der sonst so weiche Waldboden, voller Dornengestrüpp-

­ich erkenne fast nichts wieder-

gehe schnell tiefer in den Wald, Vertrautes suchend und ganz almählich beginne ich es zu finden-
gleich kommen große, weite Felder- nanu? Was schimmert da so rötlich durch die Bäume?

gehe schneller- Häuser?

Häuser! -ganze Siedlungen, wo früher nur Wiesen waren, mit Straßen, den ersten Laternen- zwar noch alles im Aufbau, noch irgendwie unfertig, aber- doch schon so gewalttätig,

so monstros
so zerstörerisch
steinener, eckiger Krebs

zurück- tiefer in den Wald- aber nichts wird wie früher-

alles kleiner, flacher, farbloser
wo ist die Intensität des Erlebens?

Es kommt, aber anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

Dort, wo ich den Großteil meiner Kindheit verspielte, wo man ungestüm, ungestört laufen konnte, auf braunem Laub, unter grünem Dach-

Bruch!

Riesige Lücken- gerodete Flächen- von der Größe eines Sportplatzes, von Unkraut und Gestrüpp zugewuchert-

Betäubt

der weiche Boden, brutal von derben Unimogreifen aufgerissen- zerfetzte, scharfkantige Narben- spüre fast körperlichen Schmerz

Desolat

liegen Bäume und Gedanken
renne durch den Wald Richtung Steinbruch- gleich ‘hört der Wald auf­
dann Wiesen, auf Höhenzug Felder­
wenn da jetzt auch Häuser stehen ...

klarer, blau-weiter Himmel,
hmm- die Milde der Luft,
das befreiende Hell der Sonne,
die Wiese, das Feld´
der weite Blick über das Land, Wälder-

endlich, endlich zurück.